Jenseits aller Kastenthemen

Hier ein Text von mir aus dem Jahr 2010. Er fiel mir gestern wieder ein als ich in einem Wiener Hinterhof unverhofft auf einen hübschen kleinen Garten traf.

Der Garten

Ich weiß nicht mehr genau wie es kam. Ich glaube, ich hatte mich nachts auf der Hälfte des Nachhausewegs etwas verirrt und kam so in eine Seitenstraße, die ich nicht kannte. Ich musste der Straße bis zum Ende gefolgt und dann in einen verwilderten Garten eingedrungen sein. Jedenfalls fand ich mich, als gerade der neue Morgen zu dämmern begann, in eben jenem Garten auf einer Bank liegen, splitterfasernackt. Ich erinnerte mich wohl, am Abend noch Kleidung getragen zu haben, fand auch keine Spuren unsittlicher Berührung an mir vor, konnte mir also keinen Reim auf meinen unbekleideten Zustand machen. Ich webte mir kurzerhand aus Löwenzahn ein Cocktailkleid und machte mich auf die Suche nach einer Erklärung.

Als erstes fand ich mein Haarband wieder, es hing von einem Haselnussbaum. Am anderen Ende hing ein Spatz, das Band um den Bauch geschlungen und war gerade dabei, sich unter den Anfeuerrufen seiner Spatzenkumpels in einem waghalsigen Bunjee-Sprung vom Ast zu stürzen. Die vorwitzigen Spatzen mussten mir das Band aus den Haaren gezogen haben, als ich schlief. „Gut, ich kann auf mein Haarband verzichten.“ dachte ich, und ließ den Spatzen ihren Spaß. Als nächstes fand ich einen meiner Schuhe. Ich konnte ihn gerade noch entdecken, als er einen kleinen Bach hinunterglitt. In ihm lagen zusammengekuschelt zwei Mäuse. Dem „Just married“-Schildchen, was hinter dem Schuh hertrieb, konnte ich entnehmen, dass die beiden Mäuschen in meinem Schuh ihre Hochzeitsreise angetreten hatten. „Barfuß zu laufen ist auch schön.“ dachte ich und rief den Mäusen noch meine Glückwünsche hinterher. Hinter einem Brombeerstrauch entdeckte ich schließlich meine Socken. Sie waren in der Nacht von zwei Nacktschnecken bezogen worden, die nun mit hoch gerecktem Schneckenkörper vor ihren Artgenossen herumkrochen und mit den neu erworbenen Häusern posierten. Einige Nacktschnecken krochen herbei und schimpften, dies sei nicht Nacktschneckenart. Die Weinbergschnecken wiederum lachten sich tot über das dumme Getue der Sockenschnecken und wiederum andere Nacktschnecken schleimten nur so herum, um vielleicht auch einen Platz in der Socke zu erhalten. Ich dachte mir nur: Mir solls Recht sein, und so schleimige Socken werden meine Füße kaum warm halten. Meinen BH fand ich zwischen zwei Birkenreisern aufgespannt, wo er nun zwei Eichhörnchen als Hängematte diente. Beide Eichhörnchen hüften abwechselnd vergnügt auf und nieder und versuchten dabei, nichts von dem Cocktail in ihrer Hand zu verschütten, was natürlich gründlich misslang. Aber sogleich war eines der Hörnchen mit einem Shaker zugange, dass der BH nur so bebte, und füllte die winzigen Gläser aufs Neue. Was sollst, also keinen BH heute, dachte ich und bog um die Birkenreiser.

Im dunklen Schatten einer Eiche hatte sich eine Hand voll Katzen gesammelt, die meine Haarnadeln aufgebogen hatten und nun damit fechten übten. Eine gescheckte Katze stellte den Schiedsrichter und achtete sorgsam auf das Einhalten der Regeln. Jeweils immer zwei Katzen stellten sich einander gegenüber und auf das Kommando der Schiedsrichterkatze zückten sie ihre Haarnadeln, um sich in aller Form der Kunst zu duellieren. Solch reizenden Sport zu stören hatte ich überhaupt keine Absicht und ich verzichtete wohlwollend auf mein Haarnessessaire. Über allem auf einer kleinen Anhöhe thronte der Platzhirsch, er hatte sich meinen Gürtel als Schärpe um die Brust geschlungen, um noch majestätischer zu wirken. Nun blickte er zufrieden auf sein kleines Reich herab und winkte ab und zu huldvoll mit seinem Geweih.

Als die Sonne höher zu steigen begann, verließ ich schließlich den Garten wieder. Und je näher ich meinem Zuhause kam, desto verschwommener wurde meine Erinnerung. Als ich schließlich durch meine Haustür trat, war ich vollkommen überzeugt, mir alles eingebildet zu haben. Aber ich musste entdecken, dass dem nicht so wahr, so sehr ich es auch wünsche, so sehr ich auch bereue, jemals diesen Ort erblickt zu haben. Denn ich kehrte an diesem Tag noch einmal zurück, am Nachmittag. Ich musste mich einfach noch einmal vergewissern, ob es den Garten und seine Bewohner wirklich gab. Ich musste auch gar nicht lang suchen, schon stand ich wieder an der Gartenpforte. Doch etwas schien sich verändert zu haben. Ich konnte es zunächst nicht ausmachen, dann bemerkte ich sie: die ungewöhnliche Stille.

Als erstes fand ich den Spatz, zerschmettert am Boden liegen. Das Haarband war gerissen und hing schlaff an seinem kleinen Körper. Seine Freunde, die ihn noch vor kurzem zu diesem unüberlegten Sprung überredet hatten, hüpften unsicher um ihn herum oder taten einfach so, als nähmen sie den toten Freund überhaupt nicht wahr.

Aus meinen Socken, ein paar Meter weiter, quoll in dicken Lachen der Schneckenschleim. Wer weiß, wer sich an den zwei stolzen Sockenbesitzern schließlich gerächt hat, ob es die eigene Art war oder die Weinbergschnecken, die allein Hausbesitzer bleiben wollten. Die Eichhörnchen lagen immer noch in meinem BH, allerdings badeten sie nun auch noch in ihrem eigenen Erbrochenen. Die Katzen waren über die Regeln des Fechtsports in Streit geraten und hatten sich schließlich gegenseitig abgestochen. Vor allem die gescheckte Schiedsrichterkatze war nur noch ein blutiger Fellklumpen, wahrscheinlich, weil sie noch versucht hatte, den Streit zu schlichten. Den stolzen Platzhirsch fand ich schließlich auch. Er hatte sich mit meinem Gürtel an der Eiche erhängt und wiegte leise im Nachmittagswind. Um seinen langen, kräftigen Hals hing ein Schild, auf dem stand: Versager! Als neuer Herrscher im Garten saß eine stumpf blickende Ratte auf dem Hügel und kaute an ihren eigenen Füßen.

Wie es den Mäusen geht, weiß ich nicht. In meinen Träumen sehe ich manchmal meinen Schuh auf dem Meer treiben, mit der Sohle nach oben. Aber wer weiß, vielleicht haben sie sicheres Land erreicht und einen verwunschenen Garten gefunden, in den noch kein Mensch eingedrungen ist. Doch eigentlich bin ich mir sicher, dieser Garten wird der letzte gewesen sein.

 

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