Dieser verdammte Jonathan

John holte tief Luft und seufzte. Was für ein Tag. Ein Tag bedingt durch die vorhergehende Nacht, bedingt durch die vorhergehende Woche, bedingt durch… die Tage und Nächte und Wochen und Jahre seiner Existenz. Er schüttelte verärgert den Kopf, als ob er damit die unerwünschten Kapriolen seiner Gedanken vertreiben könnte. Ruhe, Stille, Möwen. Das wollte er jetzt hören, spüren und fühlen. John richtete den Blick gen Himmel und nahm gedankenverloren einen Zug von seiner Zigarette. Beim Ausatmen verfolgte er die künstliche Wolke, die er geschaffen hatte, und genoss die Stille, in der sich seine Rauchwolke vom Wind sanft und widerstandslos zerfasern ließ. Er ließ sich langsam ins Gras sinken, sein Blick immer noch gebannt in den Himmel gerichtet, aus Angst, dass der Moment sich ebenso widerstandslos auflösen könnte wie seine Rauchwolke. Die echten Wolken versperrten ihm den Blick. Wie seine unerwünschten Gedanken konnte er sie nicht einfach wegwischen. John wollte Möwen. Sofort. Er wollte wie eine Möwe hoch oben zwischen den Wolken kreisen und einfach frei sein. Er konnte sich noch allzu gut an die Gute-Nacht-Geschichten seiner Kindheit erinnern. Als er Möwen verlangte und Möwen bekam… „Gegen den Wind schloss er die Augen halb und schrie jubelnd. Zweihundert Kilometer in der Stunde in voller Flugbeherrschung! Wenn ich aus der doppelten Höhe herabstoße – wie schnell ich dann wohl bin?“ Wie er als Kind gespannt zugehört hatte, sich auf den Nägeln gekaut hatte und an den Lippen seines Vaters hing… die Möwe Jonathan, Sinnbild von Freiheit und Held seiner Kindheit! John stellte sich damals immer vor, wie Jonathan aus dem Fenster seines Zimmers zu fliegen und durch die Häuserschluchten zu rasen, hinaus in die Welt! Er bemerkte, dass seine Augen geschlossen waren und sich unbemerkt ein Lächeln in sein Gesicht geschlichen hatte. Er musste grinsen. „Dieser verdammte Jonathan…“ sagte er leise zu sich selbst und war glücklich.