Tamakun Ichiban: Post-Credit Scene

Ihr habt Tamakun Ichiban zu Ende gelesen. Ihr seid beim Abspann 
sitzen geblieben, obwohl dort immer nur der Name „Lukas Wilde“ 
wiederholt war. Ihr habt gewartet, bis das letzte Kastenwesen-
Logo ausgeblendet wurde. Und dann kommt, wie sich das gehört, 
zur Belohnung die geheime Post-Credit Scene.

Es ist 2012.

Junichi Inamoto kehrt am Abend eines regnerischen 16 Stunden-Arbeitstages in sein kleines Appartement in 20 Tatamimatten Größe in Takamatsu zurück. Seit 10 Monaten arbeitet er in einem Konvenience Store, hier, in dieser Provinz-Präfektur der Shikoku-Insel. Keiner hat gefragt, woher er kam; keiner weiß, dass er einer der spezialisiertesten theoretischen Mathematiker des Landes war. Er redet nicht über seine Vergangenheit, hat kaum soziale Kontakte, hört abends zumeist amerikanische Jazz-Musik auf einem alten Plattenspieler und liest Dostojewski-Romane in einer schäbigen Izakaya zu importierten Highland Park-Whisky. Inamoto kann ihn sich leisten, denn er bräuchte sein schäbiges Konbini-Gehalt eigentlich gar nicht.

Seit fünf Monaten kennt er jeden Aktienkurs im Voraus.

Doch er schätzt die Regelmäßigkeit, die ihm sein Arbeitsalltag schenkt, Zeit, herauszufinden, was er tun wird. Er war auf einer hawaiiansichen Konferenz, an jenem Märztag vor einem Jahr, als es geschah, und ist sich umso sicher, dass er niemand von seinem Geheimnis erzählen wird. Als er in dieser Nacht nach hause kommt, öffnet er wie jeden Abend seit 11 Jahren als erstes seine Schreibtisch-Schublade und lächelt. Aus der Schublade dringt das fröhliche Piepsen eines 2Bit-Soundchips. Niemand hatte je erfahren, was wirklich passiert war, damals im Jahre 2001. Niemand hatte einen zu genauen Blick auf das kleine blaue Plastikgehäuse der Maße 5,5 x 4,0cm geworfen, das zwischen den anderen Scherben und Trümmern lag. Niemand gemerkt, was er heimlich eingesteckt hatte, statt es zu entsorgen. „Hallo, Goban!“ flüstert Inamoto.

Es ist einige Zeit her, dass er einen Weg gefunden hat, mit einem selbstentwickelten Interface direkt mit Goban zu kommunizieren. Seit fünf Monaten kennen sie jeden Aktienkurs im Voraus. Inamoto schenkt sich einen Whisky ein, legt eine Live-Aufnahme von Miles Davis’ 1970er Aufnahme Yesternow in den Plattenspieler. Wie jeden Abend denkt er darüber nach, was er als nächstes tun wird. Seit drei Monaten ist er in der Lage, das Wetter mit einer 97%igen Wahrscheinlichkeit auf drei Wochen vorauszusagen. Wie jeden Abend hat Inamoto das Gefühl, es ist noch nicht an der Zeit. Er muss noch warten. Auf was, weiß er nicht.

Ein Gewitter kündigt sich an. Da klopft es an die Tür seines Appartements. Draußen steht ein schwarzer Gaijin mit einem Ledermantel und einer Augenklappe. Es donnert. Einen Moment herrscht Schweigen. Das Leuchten eines Blitzes vor dem Fenster illuminiert die japanische Originalausgabe von Schuld & Sühne auf dem Nachttisch.
„Inamoto-San. It is time. Maybe the world is in need of some new kind of thinking.“ Er hat den Satz vorhersagen können. Vor sechs Wochen hatte Goban begonnen, über den menschlichen Geist nachzudenken.

„I’ve been putting together a team!“
Aus dem kleinen blauen Plastikkasten dringt ein aufgeregtes Piepen.

P.S.: Das ist mein Weihnachtsgeschenk für Franzi, weil sie beim Tod von Tamakun Goban sooo traurig geguckt hat. 🙁

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