Corona-WG, Tag 4: Self-Care, Pure Hate, Gefühlskarussell

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Ich stelle fest: Mein Leben hat sich gar nicht so sehr entschleunigt, wie das Viele prophezeit haben. Hauptsächlich verbringe ich meine Zeit in der Arbeit. Allerdings muss ich feststellen, dass dieses Quarantäne-Tagebuch ziemlich gut ist. Ich schaue auf Youtube gerne Creater*Innen, die sich mit Selbstoptimierung beschäftigen. Produktivität, Organisation und so ein Unsinn. Ich schaff es nie sowas umzusetzen, aber ich schaue gerne anderen Menschen dabei zu. Viele dieser Leute machen so Dinge wie “30 Tage kalt duschen”, “30 Tage meditieren”, Social Detox oder so Krempel. Eine Sache, die diese Menschen auch machen: Tagebuch führen. Ich weiß nicht genau, was sie da aufschreiben, aber langsam verstehe ich, warum es sich gut anfühlt, die Gedanken auf Papier bzw. in Pixel zu bringen. Es ordnet meine Gedanken. Ich weiß zwar immer noch nicht, was ich tun soll, aber es fühlt sich irgendwie besser an.

Ansonsten war ich heute sehr vom Frühling überrascht und dann war ich überrascht von den Leuten, die sich immer noch draußen treffen. Ich seh’ das nicht nicht im Reallife, aber im Internet. Ich möchte diese Leute gerne anbrüllen, was eigentlich kaputt ist bei denen. Haben die den Schuss nicht gehört? “Aber noch gibt es keine Ausgangssperre!”, aber what…? Fröhlich noch ein Latte oder ein Aperol trinken. Die Sonne scheint ja! Haben die in unserer globalisierten Welt nicht mal nach Italien geschaut? Aber Hauptsache das Getränk ist kalt oder im Falle des Latte heiß.

Nachdem an Arbeitstags drei endlich das Homeoffice läuft, wurde ich von einer persönlichen Nachricht gebeutelt. Mein Mitbewohner, der ja gerade in selbstauferlegter Quarantäne ist, ist heute zu seiner Freundin gezogen, weil sie “wahrscheinlich auch mit jemandem Kontakt hatte, der auch eventuell auch Corona hat und sie nutzen das jetzt, um probeweise zusammenzuwohnen.” Ich weiß gar nicht, wie oft ich mir mental ins Gesicht hauen soll. Gedankenlosigkeit Level Over 9000. Erstmal in ein Gebiet zu fahren, dass nahe an einem Risikogebiet ist, dann in eine Wohnung zu fahren und erst Bescheid zu geben, wenn er schon drin war. Dann zu sagen, fuck it. You f****** idiot.

Auf dem Nachhauseweg habe ich mit einem Freund geschrieben, der freischaffend in Berlin arbeitet. Er sucht gerade verzweifelt nach Möglichkeiten, dass er diese Situation übersteht und sein aktueller Plan: Nichts. Ist das nicht richtig scheiße? Ich mein, dieser Typ ist einer der kreativsten Menschen die ich kenne. Seit Jahren beißt er sich durch, arbeitet richtig hart für seine Ideen und seinen Traum und jetzt weiß er nicht weiter. Das Theater in dem seine Freundin arbeitet, ist geschlossen, wie alle Kulturstätten in Deutschland. Ich bereue nicht die Entscheidung, das soziale Leben runterzufahren. Ich habe Angst vor dem, was danach kommt. Werden wir uns jemals davon erholen? Ich glaube nicht. Es wird tausende Einzelschicksale geben, die das nicht überleben werden. Viele im übertragenen Sinne und viele im wörtlichen Sinne. Am Ende wird zählen, was wirtschaftlich ist. Da können alle noch so sehr betonen, wie sehr sie Kunst und Kultur schätzen. Am Ende geht es nur ums Geld. Ich hoffe, dass es diesmal nicht so ist, sondern dass wir kreativ, gefestigt und voller Tatendrang aus diesen Monaten rausgehen. Dass klar ist, wer hier den Laden schmeißt. Soziale Berufe, Dienstleister*Innen, Künstler*Innen. Menschen, die uns das Leben lebenswert machen. Noch hoffe ich.

Viele Menschen zeigen dieser Tage Solidarität und bedanken sich bei den Berufsgruppen, wo seit jeher klar ist, dass sie dafür verantwortlich sind, dass es uns gut geht, körperlich, sozial und emotional. Ich hoffe, dass dieses Gefühl der Dankbarkeit überlebt und nach dem, was da Zukunft heißt, zum Tragen kommt.

Nachdem ich nach Feierabend noch einen Onlinecall mit meinem Verein hatte, hab ich ein bisschen durchs Internet geguckt und eine Perle von einem meiner früher Lieblingscomedians Jon Lajoie gefunden, das mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat:

Ich schließe diesen Tagebucheintrag, ohne mehr als zehn Worte mit dem Großen gewechselt zu haben. Deswegen mache ich jetzt den PC aus, knuddel Hank eine Runde und wende mich den Dingen zu, die mich jeden Tag zum Aufstehen ermutigen. Carpe Diem, oder was man sonst so Philosophisches von sich gibt!

-Lea K.

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