Fremdschämen vor dem HAU2 – ein Kommentar

Das Hebbel am Ufer unternimmt seit einigen Jahren verstärkte Bemühungen, jung zu bleiben und seinem zunehmend elitären Image in therapeutischen Dosen entgegen zu wirken. Dies ist nachdrücklich zu begrüßen. Der Autor dieses Kommentars, selbst kein ganz Unbekannter in der freien Szene, konnte sich in den vergangenen Jahren nicht immer des Eindrucks entwehren, viele seiner Kollegen erscheinen mehr und mehr des kompetitiven Netzwerkens wegen zum ritualisierten Bühnengang. Ich nahm die Platzierung einer bestimmten Rahmenprogramm-Aufführung des diesjährigen Performing Arts Festival (PAF) am Freitagabend vor dem Haupteingang des HAU2 daher nicht bloß im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen zur Kenntnis. Ich tat dies sogar mit einem gewissen Wohlwollen.

Es handelt sich um eine überwiegend aus Süddeutschland stammende Laiendarstellergruppe aus Kleinkünstlern („Kastenwesen“), die auf Seite 259 des Festivalprogramms als „mobiles Rahmenprogramm“ Erwähnung finden. Referenzen sind kaum zu finden, die Selbstbewerbung erfolgt wiederholt mit Verweis auf zwei studentische Theaterfestivals sowie die Domfestspiele einer niedersächsischen Kleinstadt. Dass im Programmkatalog jener Spiele kein entsprechender Hinweis zu finden ist, liegt wohl daran, dass er über keine Seite 259 verfügt. Die Inhalte ihrer Online-Präsenz sind eher komödiantischer, um nicht zu sagen: clownesker Natur. Ihre Platzierung vor dem Haupteingang des HAU2 nach „#stilllovingtherevolution?“ (andcompany&Co.) ist also als strategische Provokation zu werten. Dagegen ist nichts zu sagen, davon lebt die Szene, ich sage: gut so! Mag der eine oder andere Kollege auch die Nase rümpfen.

Das Debakel, dass es am Freitagabend am Halleschen Ufer zu sehen gab, lässt sich dennoch nur mit einem Wort beschreiben: Fremdschämen! Der Komödiantentrupp erschien gegen halb acht in einem Bus, der direkt vor dem WAU geparkt und sogleich (in zugegeben beindruckender Zeit) in einen grotesk behängten Weihnachtsbaum verwandelt wurde. Daraufhin wurden zwei Zirkusdirektoren Mikrofone überlassen, um das Publikum mit einer schlecht improvisierten Selbstdarstellungsnummer aus Poesiealbums-Reimen und Kleinstadt-Kabaret zu belästigen, für die man wohl selbst in Augsburg oder Ulm von den Poetry Slam-Bühnen gejagt werden würde. Der Oberkomödiant am Mikrofon war auch gänzlich uneinsichtig, die ostentative Ablehnung seiner Opfer zur Kenntnis zu nehmen und setzte seine Parade der ungebetenen Peinlichkeiten gut 30 Minuten fort. Der Rest des Trupps heizte ihn sogar durch ermunterndes Gelächter an, bis sich die ungebetenen Gäste – als Gipfel der Groteske – nach jeder Nummer gegenseitig Applaus spendeten. Unweigerlich fühlte ich mich an Nächte im AckerStadtPalast erinnert, wenn betrunkene Alt-Punks in den Laden torkeln um unbedarfte Besucher mit handgeschriebener „Straßenlyrik“ zu belästigen. Provokation um jeden Preis, liebes PAF? Wenn wir dafür zahlen müssen, um so etwas in Zukunft erspart zu bekommen, so sei es! Fürderhin gerne als spießig gelten, nur bitte: nie wieder „Kastenwesen“ vor dem HAU!

 

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