Aus den Untiefen meines digitalen Gedächtnisses

Dies ist eine Geschichte über eine Gruppe junger und wilder Menschen. Sie lebten so wild in dem Glauben, dass sie nie mehr so frei sein würden wie in diesem Jetzt. Ob sie wirklich frei waren, nach objektiven Maßstäben bemessen, wer kann das schon sagen.

Die meisten von ihnen waren ungebunden, trotzdem oder gerade deswegen süchtig nach Nähe, aber Nähe, die nichts verlangte und frei war von ernsthafter Verantwortung und Vorschriften. Diese Sucht war vielmehr eine tiefen Sehnsucht, wonach genau hätte niemand zu sagen vermocht. Aber die Sucht war da und sie gingen ihr eifrig nach. Alles, was diese jungen und wilden Menschen taten und planten, war stets eine neue Herausforderung an das Jetzt. Alle Meinungen, alle Werte, die sie proklamierten, jede Berührung, die sie austeilten, Forderungen, Manifeste, Liebeserklärungen, die sie machten, galten nur für den Augenblick, in dem sie ausgesprochen wurden, und nicht weiter.

Natürlich setzte sich diese Gruppe von Menschen aus verschiedenen einzelnen Personen zusammen. Aber viel entscheidender für diese Gruppe ist, wie sich die Einzelnen in ihr auflösten. Hier herrschte so eine überwältigende Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, der Wertschätzung und der Zuneigung, dass jeder Einzelne aus sich heraustrat um den anderen so nah wie möglich zu sein. Jede Grenze, alles Trennende sollte mit der Zeit fallen und eine unendliche, entgrenzte Verschmelzung ermöglichen. Und nichts, was in dieser Gruppe geschah, fand unter Zwang statt. Jeder gab so viel wie er geben wollte, und ein jedes Zögern war nur eine Frage der Zeit, bis man sich liebend gern und freiwillig den anderen ergab.

Ja, es war Liebe. Jeder in der Gruppe liebte jeden anderen, und jeden auf eine andere Art und Weise, mehr oder weniger, körperlich, geistig, wild oder im Stillen. Aber alle liebten das Ganze. Niemand von ihnen hätte einen Zeitpunkt benennen können, als das Ganze begonnen hatte.

Wer hat schon einen anderen Bewertungsmaßstab als das eigene Leben? Wohl niemand, auf jeden Fall niemand aus dieser Gruppe. Deswegen könnte auch keiner von den jungen Wilden sagen, wie besonders diese Erfahrung war, die sie teilten. Was war schon besonders daran, im Sommer zusammen in Flüssen zu baden, nackt wie man war, Hauspartys mit einem Haufen Drogen zu feiern, mit einem Kasten Bier im Gepäck irgendwo hinzufahren? Vielleicht bestand das Besondere auch nicht unbedingt in den Dingen, die sie zusammen taten. Das Geheimnis dieser Menschen war vielleicht vielmehr, dass sie einander wie eine Treppe waren. Jeder hob den anderen über sich hinaus. Jede geäußerte Idee wurde somit zu einer Stufe für die Idee eines anderen – und so stiegen sie immer weiter hinauf.

– Tanzen konnten sie überall –

Wir wissen nicht, wie diese Geschichte, wenn es überhaupt eine ist, weitergeschrieben wird. Sie entwickelt sich jeden Moment weiter und taucht alles Vergangene in ein neues Licht. Vielleicht hat sie sich inzwischen selbst überholt und nichts von dem, was hier geschrieben steht, ist noch wahr, sondern das exakte Gegenteil ist der Fall. Da die Geschichte jedoch erzählt werden kann, wurzelt sie in der Vergangenheit, wächst weiter im Jetzt und verzweigt sich in tausenden Möglichkeiten in der Zukunft. Und wir sitzen auf den Trieben dieser Geschichte, welche rasend schnell ins Universum hineingreifen. Ihre einzelnen Momente beschreiben zu wollen, wäre aussichtslos und sinnlos zugleich. Deswegen sei es hiermit belassen.

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One Response to Aus den Untiefen meines digitalen Gedächtnisses

  1. Phil says:

    Auf die Geschichten, die kommen werden!

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