There be Dragons #11: CUXHALDEN II (Team TüTown)

There be Dragons # 11 – CUXHALDEN II

Was er also zu mir sagte, in dieser Spelunke in Cuxhalden, an einem der nördlichsten Punkte Deutschlands, wie alles angefangen hat. So hat er das nämlich gesagt, aus seinem langen Bart heraus: „There be Dragons!“
Er nahm einen Schluck Kaffee aus einer auffällig sauberen Tasse und stellte diese dann zurück auf den bierverklebten Tresen. „Nein, nein: there were Dragons.“ Er machte eine lange Pause, schien nicht zu wissen, wo anfangen. Sein Blick verlor sich im Nichts. Dann, plötzlich, wandte er sich zu mir und sagte, seinen Blick weiterhin im Nichts gefangen: „Es war überall Nebel. Nebel, ein paar Lichter dazwischen, aufflackernd wie Irrlichter im Sumpf. Dieser Nebel.“ Dann schwieg er wieder, starrte ewig in seinen Kaffee. Hin und wieder brummelte er kopfschüttelt vom Nebel.
„Was ist denn mit dem Nebel? Was war denn nun mit den Drachen?“, fragte ich. Da schaute er mich plötzlich mit aufgerissenen, wässrigen Augen an.
„Die Säule! Ich stieß gegen die Säule. Da war plötzlich diese Säule; und der gute Kaffee verschüttet. Und da war er! MEIN DRACHE. Ich wusste es sofort: Das ist mein Drache-Karos! Es war der Kaffee. Der Kaffee! Hahaha. Ich hätte es mir von Anfang an denken können. Es war immer der Kaffee.
„Und dann war da diese Musik.“ Seine Blick klarte auf. „Gute Musik. Wummernde Bässe wie der Herzschlag eines großen Tieres. Da bemerkte ich auch die Menschen. Tanzende Körper überall. Hüpfende Standarten. Glitzernde Gesichter. Wehende Fahnen. Flackerndes Rot.
Das Rot wogte in der Menge um einen großen Turm herum und ergoss sich in einer Fontäne über die Körper, bis zu den – ich bemerkte sie erst dann- anderen Säulen. Das waren Säulen wie meine. Auf ihnen Drachen, die versteinert verharrten, regungslos zu schlafen schienen. Karos hingegen spie seine blutrote Feuersäule in den Nachthimmel. Da begann es: Our Stranger Places.“
Er schien gelöst. Die Worte sprudelten aus ihm heraus:
„Neben mir, an der Säule links, unter einem der noch schlafenden Drachen tanzend, sah ich Phil; Phil, den ich seit dem großen Streit in Erlangen nicht mehr gesehen hatte. Ich sah es deutlich: Er trug den Ring des Schreibers an seiner rechten Hand. Den Ring, den er monatelang überall gesucht hatte. Lissabon musste ein Erfolg gewesen sein.“
Über die Bässe hinweg beschwörte er mit „Hic sunt dracones“ und dem Ring des Schreibers seinen Drachen. Und auch Phliki erwachte. Er schüttelte sich seine Starre aus den Gliedern, öffnete seine tausend Jahre verschlossenen Augenlieder und schrie gellend, weit hörbar, in die Ferne.
Rechts neben mir, ein Schrei, ich verstand nur das Wort „Manifest“ und da erhob sich auch Avion, der Drache der Anderen in die Luft, um gemeinsam mit Philki und Karos einen gigantischen Tornado des Feuers in den nun hell erleuchteten Himmel zu schicken.“
„Drei Drachen erwacht? Man erzählt doch, Lukas hätte das Erwachen der Drachen verhindert?“
„Da musst du anders fragen“. Während er sprach rann ihm eine Träne aus dem Auge und verschwand in seinem Bart. Seine Augen wurden wieder glasig. Er rührte Minuten lang in seinem Kaffee.
„Lukas war ja immer dagegen“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Das ist alles seine Schuld! Warum? Ich werde es nie verstehen. Ausgerechnet Lukas. Es waren alle dafür: Phil, Vera, ich und die Anderen. Nur Kili stand immer zwischen uns. Unentschlossen aber wenigstens aufgeschlossen. Lukas versuchte mit allen Mitteln, ihn von seiner Sache zu überzeugen, um zu verhindern, dass Kili nach China geht. Etwas muss ihn letztlich doch überzeugt haben, denn kurz nach Avion sah man ja einen weiteren Drachen aufsteigen.“
Seine Worte wurden wieder klarer und schneller. Zum Schluss schienen sie sich fast zu überschlagen.
„Plinius, Kili’s Drache, erhob sich mit mächtigen Schwingen. Mit glimmendem Blick zeigte er seine monströse Struktur und fügte sich mit gewaltiger Kraft in das Inferno der übrigen Drachen ein. Kili, die Fingerspitzen noch leuchtend vom chinesischen Pulver, lachte laut. Sein Bart war tief blau, sein Blick gelassen wie der eines Meisters. Ein Pandragon strahlte von der Säule. Kili hatte seinen inneren Frieden gefunden und bewegte sich langsam im Bass.
„Es war wunderschön! Diese Harmonie! Mein Karos schwebte über der feiernde Menge und führte die Symphonie der Drachen an.“ Er wandte sich plötzlich zu mir: „Haben Sie ihn gesehen?! Diese Naturgewalt, mehr als ein Vulkan! Asche, Feuer, Nebel, Glut und Rauch! In einer gewaltigen Wucht! Ein Blitzlichtgewitter! Ein Tanz entfesselter Kraft aus mehreren Körpern, vereint im Zentrum zur Macht! Ein Sturm aus Feuer, nein! ein fürchterliches Gewitter, nein! der Orkan des Apokalypse!“
Mit einer heftigen Bewegung wischte er seine Kaffetasse vom Tresen. Sie zerbrach klirrend auf einer gesprungenen Fliese. Er drehte sich zu dem Scherbenhaufen um und sagte dann leise:
„Lukas hat alles zerstört. Wie er da stand mit seinem Hut, ein Fremdkörper in der Menge, und verzweifelt gegen das ankämpfte, was nicht mehr aufzuhalten sein sollte. Zornig und unablässig schlug er mit bloßen Fäusten auf die hölzerne Säule von Bronco ein. Sein Gesicht war verschmiert, er stand schwer atmend.
Weiter oben begann Bronco sein wundervolles Schauspiel. Ein Funke zuckte durch des Drachens starren Körper.
Am Boden splittern Knochen und Holz. Blut, Schweiß, Tränen! Der Kampf gegen den schlafenden Dämon.
Ströme von Licht durchzuckten Bronko pulsierend im Rhythmus von Schlägen und Bass. Rauch kam aus seinen Nüstern.
Lukas entriss dem tanzenden Pulk eine der glitzernden Standarten und rammte sie mit letzter Kraft tief in das Herz der Säule. Ein Zittern durchzog den Pfahl. Die Zeit schien still zu stehen… und Bronko erwachte. Erschöpft hob er seine Augenlieder, der Flügelschlag war schwerfällig. Mühselig floss seine Flamme in den lodernden Feuersee der übrigen Drachen mit ein.
Lukas sank zu Boden, schlug mit dem Kopf auf. Sein Hut, von dem er sich niemals trennt, rollte zur Seite.“
Bei diesen Worten öffnete sich plötzlich die Türe der Bar. Eisige Luft füllte den Raum und ein Mann, den Kragen hoch, den Hut tief im Gesicht, trat mit schweren Schritten an uns vorbei und setzte sich einige Plätze weiter.
„Wo war ich?“, bemerkte Stefan irritiert. „Ach ja, der letzte Drache! Vera saß lachend auf dem Rücken ihres noch versteinerten Drachens. Ich weiß noch genau: sein erstes Lebenzeichen waren die glimmenden, verschlagenen Augen. Dann erhob sich der Namenlose mit dunklen Schwingen. Er schraubte sich gemeinsam mit Vera in den Himmel und verharrte mit geöffneten Flügeln dort.
Wir waren so nah dran gewesen! Doch Lukas musste ja unbedingt nach seinem Hut greifen. Zumindest dachte er, dass nun in seiner Hand sein Hut sei. Er hielt stattdessen ein schweres Buch mit der Aufschrift „Nimini“. Er öffnete es und sah eine Karte. In diesem Moment zog sich die gewaltige Feuersäule der Drachen in eine glühende Kugel über der Turmbühne zusammen. Sie komprimierte sich zu einem kleinen schwarzen Ball, der dann in einer Wolke aus Licht explodierte. Lichtstaub war überall in der Luft und wurde in konzentrischen Kreisen von dem Buch in Lukas Hand angezogen. Die Karte auf der offenen Seite des Buches verblasste langsam, bis nur noch weiß zurück blieb. In dem Moment, in dem die Drachen für immer versteinerten, brannten sich die Worte „HIC SUNT DRACONES“ auf die leere Seite ein.“
Dann packte mich Stefan plötzlich beim Kragen und flüsterte mir ins Gesicht: „Wir hätten uns eine bessere Welt gebaut! ..But where are you now?“
Danach sagte er  nichts mehr. Er blieb noch einige Minuten, bevor er sich einen Coffee to Go bestellte und auf der anderen Straßenseite vom Nebel in Cuxhalden verschluckt wurde.
Ich zahlte die Rechnung und eilte an den Hafenbordellen entlang zum Bahnhof während mir die winterliche Seeluft öligen Schnee ins Gesicht wehte. Ich durfte den 17 Uhr Zug nach München nicht verpassen. Doch bereits als ich im Zug saß und über die Ereignisse in der Bar nachdachte, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich Stephan Winter je getroffen hatte.

 

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2 Responses to There be Dragons #11: CUXHALDEN II (Team TüTown)

  1. Der Lukas says:

    Hier übrigens nochmal das räumliche Layout, und überhaupt der Beweis, dass das mit den Drachen wirklich so stattgefunden hat: https://www.youtube.com/watch?v=Igu_1PE0jyk
    Ansonsten weitere (teils bereits artikulierte) Beobachtungen, in ungeordneter Reihenfolge:
    1.Wie gut, dass AndererStefan hier Stefan Winter spricht
    2. Die Nimeni-Manuskripte! Natürlich bannen sie Drachen! Wer, wenn nicht ein Nachtforscher?!
    3. Ich stelle mir auf jeden Fall Carl mit seinem mächtigen Schwert dazu vor!
    4. Aber ich frage mich, wann ich *jemals* *IRGENDETWAS* verhindern wollte!
    5. Wenn man sich noch Dinge von Kili wünschen könnte, würde man sich natürlich den fucking #Drachen der Anderen# wünschen!!! Mit Kinnbart!
    6. War da nicht ein Zitat aus Poe’s The Raven mit drin?! Ich bin mir fast sicher…!
    (7. Ich wär ja soooo gern in der Nacht mit dabei gewesen, als das alles entstanden ist…!)
    8. “Was ist denn nun mit dem Nebel…”? 🙁
    9. Okay, das *genialste* ist halt echt, wie die Mimini-Manuskripte jetzt DIE Karte geworden sind, um die es im Voynich-Lied geht, die alle in ihr Weiß versenkt und keinen Ausweg lässt, außer einem dunkelglühenden ‘HIC SUNT DRACONES’ – und dort sind sie nun tatsächlich noch…! To be Continued…!
    10. Ich glaube, Stefan Winter war nie auf der Fusion gewesen…!

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