Die Nimeni-Fragmente

Das Wasser ist überall. Heute morgen wollte ich zum Bäcker, mal wieder das Haus verlassen. Vierzig Tage oder so sind seit meinem letzten Ausflug wohl vergangen, und bereits beim Öffnen der Tür schwappte mir eine schlammige Flut bis an die Knie. Warum hat mir das niemand erzählt? Lukas ist fort, Nina ist weg (der eine spricht, die andere gräbt) und hier ist alles Verinnselung. Die Wassermassen liegen wie eine Betonplatte gleichmäßig auf dieser kleinen Stadt. Es wirkt ausgesprochen friedlich; hier und da gluckert und versickert noch Wasser in irgendeinem Stollen oder Loch, an manchen Stellen, den höherliegenden, sieht man Erde und Pflanzen. Vereinzelt stehen darauf unschlüssig Tiere herum. Beim Weg zum Bäcker etwa, für den ich mich an eine Planke klammerte und mit der Strömung treiben lies, begleitete mich eine Taube. Vielleicht war es auch eine sehr grau geratene Möwe. Ich kann den Unterschied nicht benennen. Menschen habe ich keine gesehen, aber beim Bäcker lag noch trockenes Brot und dieses Gebäck, was die Bewohner dieser Gegend so sehr mögen. Ich habe mich entschieden heute abend auch zu gehen. Nein, denken Sie bitte nicht, das sei eine Flucht. Ich muss mein Manuskript, gleichwohl es Fragment geblieben ist, in Sicherheit bringen. Ich habe einen Kahn bestellt und habe den Fährmann (einen Italiener) bereits bezahlt. Zumindest dies scheint noch zu funktionieren. Nun packe ich. Die skurrile Bibliothek in unserem Haus wird wohl bald nur noch einen, dauerhaften, Leser haben. Das Wasser. Ich nehme Hut und Mantel und die Fragmente. Immerhin fast 800 Seiten, eng bedruckt und dicht an Enthüllungen und Beweisen für diese Drachengeschichte. Hic sunt dragones. Sollte das Wasser die oberen Stufen des obersten Geschosses dieses Hauses erreichen, wovon auszugehen ist, so wird es zumindest diesen seltsamen, resistenten Drachenblufleck von der Schwelle wischen, denke ich. Nun muss ich nur noch – sollte ich, denke ich dann – die Originaldokumente von Anna und Phil, die sie mir im Frühjahr aus Lissabon sandten, unter Bedrängnis, nehme ich an, auf die Postkastenseite hochladen. Nur zur Sicherheit. Ich benötige das Material, als belastbare, ergiebige Hauptquelle für die Nimenigeschichte. Natürlich erhellt manches auch die im Dunkeln gebliebenen, unbeantworteten Fragen der Pandragon-Sache (oder wie ich sie für mich nenne, da die undurchsichtige Sandra der anderen WG, mehr als einen Faden der Intrige im Hintergrund gleich einer Parze gesponnen hatte: SANDRAGON.) Sandra hatte eine überaus reiche Ernte aus der Chinesensache mit Killi, hatte den großen Quanxi-Gemischtwarenkonzern in Shanghai daraufhin gegründet und jetet seither wichtig durch alle Wirtschaftssendungen – aber das passt nicht hierher. Es geht mir (und der wissenschaftlichen Welt) vor allem um Nimeni. Mein Gespräch mit dem Sachverständigen und hauptberuflichen Experten Prof. Dr. Dietmar Tomtom Rometsch bestärkte mich in dem Entschluss, meine ganze Kraft und Energie ausschließlich der begonnen Arbeit um Karl Nimeni zu widmen.
Nun hier also zu Archivierungszwecken das Fotomaterial mit den Originalbeschriftungen von Anna und Phil.

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2 Responses to Die Nimeni-Fragmente

  1. Phil says:

    Also ich bin sehr gespannt auf die 800 Seiten!!! (Oder zumindest eine 25-seitige Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse…)

  2. Der Lukas says:

    “Vereinzelt stehen darauf unschlüssig Tiere herum.” – GROSS!
    Wooohaaaa, was hier abgeht! Leb wohl, Andi, rudere wohl, die Nacht und ihre Zeichen sind Dein Begleiter: http://vimeo.com/58970822

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