Regen • Lernen

Regen•Lernen

Frage:
Weißt Du, warum Du heute Abend hier bist?
Antwort:
Ja.
Frage:
Nenne bitte Deinen vollen Namen.
Antwort:
Lukas Wilde. Also eigentlich Lukas Roland Athanasius Wilde. Aber die meisten sagen ‘Der Lukas’.
Frage:
Siehst Du die Person, um die es in dieser Aushandlung geht, unter den Anwesenden?
Antwort:
Ja.
Frage:
Weißt Du noch das Datum des Tages, an dem alles vorgefallen ist?
Frage:
Ja. Der 1. Juli. 2011. Eine Donnerstagnacht. Schon Freitag, eigentlich.


Frage:

Beschreibe bitte wahrheitsgemäß, wie Du in die Situation gelangt bist.
Antwort:
Ein loderndes Haupt steigt voran, und die anderen folgen.
Kleine Regenfäden ziehen sich spinnwebartig durch dunkle Baumwipfel. Noch ist da keine Sonne. Noch ist die andere Seite der Erddrehung nicht erreicht. Noch keine Sonne. Doch vor den anderen, über den anderen, über mir, brennt dieser Schädel. Er dreht sich langsam um und blickt zurück. In dampfenden Augen stehen suppentellergroße Pupillen in Flammen. Würden sie blinzeln, könnten sie indianische Rauchzeichen weit über alle Hangars schicken. Aber die Aufgabe des Blinzelns haben die Kiefergelenke an sich gerissen, nd sie teilen ihr Hoheitsrecht nur mit den Knie- und Knöchelgelenken, die auch alle nie stillstehen, die aber trotzdem nie ihren sicheren Halt in den Wogen von Rhythmus, Regen und Bass verlieren, die unentwegt gegen sie prasseln. Und aus den prismatischen Flammen leuchtet jetzt eine Stimme hindurch und bahnt sich ihren Weg über den Hügel. Sie hat etwas zu verkünden.
ICH RAST AUS, WIE GUT’S HIER IST!
Ein loderndes Haupt steigt voran, und die anderen folgen.

Das ist ab sofort kein Regen
 Kein Regen geht jetzt So!
 Richt Dich in ein diesem Zelt
 verlass Dich drauf, es bleibt erhellt
 solange wir uns
 regen.


Frage:

Wer sind die anderen?
Könnten sie deine Version bestätigen?
Antwort:
Nur die Füße halten uns noch zusammen.
Sie tanzen, und der ganze Rest tanzt mit. Alles tanzt: Füße über Treppen, Hände über Schattenbilder, Tütchen durch ausgestreckte Finger, Finger in aufgefaltete Tütchen. Sie sind unter einem blinkenden Silberkreuz an einem Fahnenmast aufgebrochen, ein Disco-Gott aus dem Weltraum. Er hat Wasser geschickt, und das Wasser tanzt mit, erst sanft und schmeichelnd, durch Flaschen, Schlauchsysteme und trockene Kehlen, dann wütend und laut, in donnernden Wogen aus dem leuchtenden Himmel. Wir haben uns verloren und wieder gefunden und uns ausgewechselt. Jeder war einmal viele und viele waren sogar alle, und alle waren wir verloren in der Nacht. Dann war das Wasser überall, bis wir ihn, und uns, zufällig wieder gefunden haben. Seine Haare lodern wie Flammen und er bewegt sich schneller als Regen und Dunkelheit, und über ihm verdampft der Sturm, noch bevor er ihn erreichen kann. Er hinterlässt eine meterbreite Spur aus Kondensstreifen und Licht und Verwirrung über dem Gelände und bewegt sich langsam auf den Hangar mit dem Leuchtturm zu. Wenn Du dachtest, Du hast Dich verirrt, schau Dir mal den an!
Nur die Füße halten uns noch zusammen.

Das ist ab sofort kein Absturz
 denn das ist ne Rakete
 Gut vollgetankt sind wir angelangt
 nur beim Abgang hat einer leicht geschwankt
 oder lag es doch
 am Wind -
 der ja so wehte...

Frage:
Du hast jetzt mehrmals eine bestimmte Person erwähnt. Kannst Du versuchen sie begrifflich fassbar zu machen?
Antwort:
Vielleicht waren wir auch ganz andere Personen, aber er war vorne dabei.
Das Ende der Begriffe war der Anfang leuchtender Seifenblasen. Plötzlich gleiten sie überall herum, hüllen uns ein. Sie bilden einen Schirm, einen Projektionsschirm, und in jeder Blase bricht sich ein anderes Bild. Wir sind jetzt ganz oben, wir sind jetzt ganz high, wir blicken auf das Gelände herab. Sein flammender Schädel prasselt und lodert, aber in jeder Blase sehe ich eine andere Erzählung. Wir sind nicht nur oben, wir sind in so vielen Geschichten. Wir sind Jäger, Zocker, Ritter, Sprayer, Sammler, Tänzer, Beschleuniger. Wir sind Liebhaber und Freund, wir sind Krankenpfleger und weltbester Mitbewohner. Wir werden gleich Vater und wir wollen so gut sein darin. Wir sind Wahnsinn und Verantwortung und Freundschaft und Liebe und Sorge und Begeisterung und nichts davon schließt sich je aus, denn die Füße halten alles zusammen. Hunderte kleine Blasen formieren sich zu einem leuchtenden Kaleidoskop, einem bunten Fliegenauge, einem bunten, dreidimensionalen fliegenden Fliegenauge, und der brennende Schädel vor uns ist alles das und noch viel viel mehr, und nichts davon hat etwas mit Begriffen zu tun. Niemand hat je davon gehört, dass eine Seifenblase die Unwahrheit sagt. Aber seit wann können Seifenblasen im Regen überhaupt fliegen? Wie soll man sich irgendetwas davon glauben?
Vielleicht waren wir auch ganz andere Personen, aber er war vorne dabei.

Jetzt kommt der Regen von sechs Seiten,
 Na, das' ja originell
 Früher hieß das Depression
 heut denkt man sich, das gab es schon
 hab nicht mal mehr etwas
 dagegen
 Na was ein Segen

Frage:
Da muss Dir ja schon klar gewesen sein, dass hier einiges nicht ganz normal ist. Welche weiteren Vorkehrungen wurden daraufhin getroffen?
Antwort:
Das einzige, was wir je gelernt haben, haben wir gerufen.
Eine kleine Eddingspitze hat weiches Holz kennengelernt. Weiches Holz hat fünf Namen kennengelernt. Aber das war es nicht. Wir waren zuerst nur zu viert, haben aber eben jemand fünftes kennengelernt. Der fünfte Name wird zum Platzhalter, für jeden, der nicht dabei war, denn eigentlich waren alle dabei. Aber das war es nicht. Der Edding wollte etwas da lassen, aber das war es nicht. Jemand hat gelernt, dass wir doch noch trockene Papes dabei haben, aber das war es auch nicht. Es hatte etwas damit zu tun, dass der Regen – egal ist! Und die Angst vor dem Hippie-Scheiß egal ist und die Wolken, wo gleich der Sonnenaufgang sein sollte, egal sind. Dass dieses ganze Brüten um die Zukunft und die Verantwortung und die Liebe, all die Gedanken, die irgendwann wiederkommen werden, alle egal sind.
Nein, das war falsch.
Das war vorher.
Jetzt war es anders herum.
Es hatte etwas damit zu tun, dass der Rest Wasser in den Schläuchen zählt und die funkelnde neue Tüte zählt, und dass wir jetzt hier sind: Zählt! Dass die Bässe zählen, aber auch der Regen zählt und jede einzelne Seifenblase zählt, dass eigentlich alles zählt, alle die verschiedenen Versionen von uns, und von ihm, und dass das noch nie anders war und immer so bleiben darf, wenn wir das nur jetzt, irgendwie, zusammen beschließen können. Irgendwo hinter den Wolken bahnt sich die Sonne an und irgendwo hinter seinem Kehlkopf ein Satz, und irgendwann sind beide soweit und irgendwann holen alle Luft, so tief sie können. Und das war es.
WE CAME TO BELIEVE THIS SHIT.
Das einzige, was wir je gelernt haben, haben wir gerufen.

Nach dem Regen kam kein Regen
 Und auch der wird sich noch legen
 Da das Zelt noch steht
 und die Fahne weht
 und auf der steht nur
 'von wegen'
 zum Thema Regen


Frage:
Kannst Du dich noch daran erinnern, wie die Nacht geendet hat?
Antwort:
Der brennende Kopf muss die Welt am tanzen halten.
Unter irgendeinem roten Zeltdach ist ein wenig Trockenheit und Morgenlicht, und unsere Systeme fahren runter. Der Regen wird wieder stärker. Vor uns laufen andere Verirrte mit kleinen Plastikröhrchen nackt durch die Büsche und rufen, man müsse den Morgentau von den Blättern schniefen. Das sei total geil. Aber die Systeme fahren schon runter. Wir sind nur noch zu dritt, denn einen von uns, einen – und ich glaube, wir wissen alle, wen ich meine! – einen hat der Wind weiter geweht, und er wird noch am tanzen sein, wenn wir ihn später, gegen frühen Nachmittag, wiederfinden werden, mit brennenden Augen, mit dampfenden Füßen, mit loderndem Blick, mit einem Bewegungsradius von 40centimetern nach Außen und 40.000 Meilen nach innen. Eine letzte verirrte Seifenblase treibt durch die Luft. Mildtätig gaukelt sie uns in ihrer Pupille einen Schatten mit sechs Armen vor. Eine Gestalt wie Shiva-Natraj, dessen unaufhörlicher Tanz die Energie produziert, die das Universum am Leben hält. Hört Shiva-Natraj auf zu tanzen, endet die Welt. Aber sieht man genau hin, bevor die kleine Blase ihr Leben einem Regenstrahl anvertraut, erkennt man noch die lodernden Haare, die über Shivas Shakrenrad leuchten und brennen. Niemand hat je davon gehört, dass eine Seifenblase die Unwahrheit sagt. Und auch an diesen Scheiß werden wir glauben, weil irgendwo noch Füße stampfen, die Energie produzieren.
Der brennende Kopf muss die Welt am tanzen halten.

Uuuuuuuund wir müssen weiter tanzen
 durch Regen, Nacht und Sturm
 solange der Kopf noch brennt, macht auch alles mit
 wer den Ruf erkennt, zu nem wilden Ritt
 zu nem wilden Rittersritt
 We came
 to believe
 this Shit!

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