The Schroedineers, Chapter 2: Lukas

“Sprich Deine Worte, Kili, und sprich sie wahr!” Kili wirft mir einen etwas abschätzigen Blick zu, aber vielleicht ist es auch nur Sorge. “Ich, Schroedineer Kili, blicke nicht mit den Augen und höre nicht mit den Ohren. Ich blicke mit dem Geist und höre mit der Seele. Aber ich verwirre niemanden mit meinem Geist und ich verwirre niemandem mit meiner Seele. Ich verwirre mit dem Herzen.” Er holt die Bannmarke aus seiner Jacket-Tasche. “Dann tu es jetzt, und tu es wahr!” feuert Felix ihn mit der ihm eigenen Eifrigkeit an.
“Ich tue es!”, erwidert Kili, seine Brille leuchtet abermals auf, und er heftet eine der kleinen blauen Marken auf den Mülleimer.

Irgendwann werden wir uns spezialisieren müssen. Nach 48 Stunden sind es drei wiederkehrende Anomalien, bislang. Und wir sind zu dritt. Ein Zufall, möglicherweise.
Die erste hatten wir lange erwartet: Der Raum verhält sich ungebührlich. Blickt man einmal unkonzentriert – mit den Augen, statt mit dem Geist – in die Häuserschluchten dieser ganzen Hong Kong-Sache, verweben sich die Überführungen und Highways, die im 45°-Winkel gegen den Boden geneigt sind, in absonderlichen Verzweigungen, überkreuzen ihre Vektoren, führen zu nie gesehenen Ausgangspunkten zurück, neigen sich in schildbürgerhaften Verdoppelungen. Kili kann damit noch am besten umgehen. Schwieriger wird es mit der Zeit: Einen Moment lang sind wir unaufmerksam, da behauptet die Uhr bereits, wir hätten 3uhr morgens, obwohl es noch nicht einmal elf sein kann, von Mitternacht ganz zu schweigen. Am meisten aber macht uns die Kausalität zu schaffen. Wir sind so gut im Handeln mit all den Straßenhändlern und Jademarkt-Halunken, dass wir dauernd Dinge – Objekte! – auf lächerliche Preise herunter handeln, auch wenn wir keine Ahnung mehr haben, warum wir sie haben wollten. Felix hat etwas erworben, dass ihm als symbiotische KompositLebensform aus Kunststoff angepriesen wurde, verachtet sich dafür aber bereits selbst auf erniedrigenste Weise. Um Kontingenzen und Unwahrscheinlichkeiten zu verringern, sind wir schon in ein kleineres Zimmer umgezogen: Etwa 4 Quadratmeter, keine Fläche außer den Betten, und natürlich keine Fenster. Das Telefon von Mr. Limbo, unserem Vermieter im Nebenzimmer, klingelt ununterbrochen. Warum geht er nie ran? Bislang helfen diese Fragen nur wenig.

Als Kili zufrieden der Bannmarke zunickt, die die Stelle der siebzehnten Sichtung markiert, tauschen Felix und ich sorgenvolle Blicke aus. Je näher wir dem Ziel kommen, desto weniger sicher können wir uns sein. Nach einem ereignislosen Tag in den Hügeln  freuen wir uns fast, als sich die Gespräche wieder in unverständliches Gefasele auflösen. War es wirklich der “Mock Monk”, ein sagenumwobener Schroedineer des fernen Ostens, der uns den Unsinn mit der “Katzen-Empathie” gestern erzählt hatte? Oder einfach nur ein betrunkener Mönch? Die Erinnerung verschwimmt in einem Malstrom aus Jetlag, Rauschmittelinduktion und unseren eigenwilligen und oft unberechenbaren Kräften. “Sprich Deine Worte, Kili, und sprich sie wahr!”, wird Felix ein weiteres mal anfeuern, als uns das visitenkartengroße Objekt erneut zu einem Ort führt, an dem Kili sein Bannkasten-Zeichen hinterlässt. Seine Brille wird erneut aufleuchten, und Raum, Zeit und Kausalität spielen ihre alten Späße mit uns .

Noch ist etwas Zeit.

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