Der Bundespräsident, Iron Man und der Papst

Im Jahr 2020 läuft in China alles beim Alten.

Ein paar dissidentische Wu’s und Wangs kommen hinter Schloss und Riegel, weil sie die Regierung kritisiert haben. Ein paar Mins und Xin’s werden enteignet, nachdem sie gesellschaftlich unerwünschte Kunst produziert haben.
Viel Neues ist dazu nicht zu vermelden.
Da sieht man es wieder, die Diktatur, rügt der Bundespräsident.
Ein Rechtsstaat muss Kritik und künstlerische Freiheit ertragen können, mahnt die Süddeutsche.

Aber ich möchte von vorschnellen Urteilen absehen.
Der Chinese hat schon historisch nie unsere Idee des Rechtsstaats entwickeln können,
da hängt ja die komplette Geschichte des Abendlandes mit dran,
und die ganze Demokratie.
Er hat da einfach einen anderen Hintergrund.

Im Jahr 2020 gibt es ganz neue, verbesserte Rechtsstaatlichkeiten in Europa.

Die juristische Bevorrechtigung bildmedialer Artikulationen wurde endlich überwunden und das Urheberrecht legt seinen rechtsstaatlichen Schirm auch in gleichem Maße über das gedruckte Wort unserer Wertegesellschaft. Ein Online-Journalist, der eine vernichtende Kritik über Marvels und Disneys Sommer-Blockbuster Iron Man 7 geschrieben hatte, bekommt eine Abmahnung über 100.000€, weil er die Rechte am Namen “Iron Man” gar nicht besessen hatte. Auch sah er davon ab, beim Verleih eine schriftliche Genehmigung zu beantragen, über dessen Bewilligung und die Höhe der Kaufsumme der rechtmäßige Besitzer des geistigen Eigentums freiheitlich hätte beraten können – des Eigentums, mit dem der Journalist sich auf Kosten des Filmverleihs profiliert  hatte. Da er die richterlich festgesetzte Summe von 50.000€ nicht zahlen kann, geht sein Haus in Besitz der Produktionsfirma über. Einem Sprecher zufolge soll das Appartement als Drehort für einen Bombenanschlag in Iron man 8 Verwendung finden, um so zumindest einen Teil der finanziellen Schäden abzudecken, die dem  Studio entstanden sind.

Ein großer Lebensmittelskandal, in den McDonalds verwickelt ist, kann nur unter erheblicher symbolischer Verschlüsselung in der Presse Erwähnung finden. Als Prosagedicht über das “vergiftete Lachen des alten Clowns” hofft die Süddeutsche, die Tatsache zu vertuschen, dass sie sich an einem Namen bereichern will, über dessen Rechte sie gar nicht verfügt.

Das muss man aber alles differenzierter sehen.
Das sind radikal verschiedene Phänomene.
Man darf das nicht über einen Kamm scheren.
Und schon gar nicht einfach so vergleichen.
Ich will nicht polemisch werden.

 

Im Jahr 2020 läuft im Iran alles beim Alten.

Ein Bombenattentat gegen den finnischen Botschafter, dem 23 Menschen zum Opfer fallen, wird als Reaktion auf ein Bild gedeutet, das in der Tageszeitung Helsingin Sanomat abgedruckt wurde. Es zeigte einen rotnasigen Trunkenbold mit buschigem Backenbart. Die persische Übersetzung der Bildunterschrift insinuiert, dass es sich um eine Darstellung des Propheten handeln könnte. Durch die Verletzung ihrer religiösen Gefühle stark empört, kommt es zu Steinigungen ausländischer Besucher überall im Iran.

Da sieht man es wieder, der Fundamentalismus, rügt der Bundespräsident.
Ein Rechtsstaat muss freie Meinungsäußerungen ertragen können, mahnt die Süddeutsche.

Aber ich möchte von vorschnellen Urteilen absehen.
Der Perser hat schon historisch nie unsere Idee des Rechtsstaats entwickeln können,
da hängt ja die komplette Geschichte des Abendlandes mit dran,
und die ganze Demokratie.
Er hat da einfach einen anderen Hintergrund.

 

Im Jahr 2020 gibt es ganz neue, verbesserte Rechtsstaatlichkeiten in Europa.

Um die zunehmende Brisanz fundamentalistischer Verärgerungen auf eine aufgeklärte, säkulare Grundlage zu stellen, die unserer freiheitlichen Werteordnung entspricht, sind Unterscheidungen nach Sakralität generell abzulehnen, da sich dies ohnehin juristisch nur schwer entscheiden lässt. Stattdessen schlägt der Bundespräsident vor, die Verletzung von Gefühlen und Überzeugungen genereller zu regeln. Dem jeweiligen Rechteinhaber jedes Motivs sei freizustellen, wann er sich in seiner Ehre gekränkt fühlt. Die Urheberschaft am Motiv Jesu Christi am Kreuz liegt ganz klar beim Vatikan, und die an Iron Man bei Marvel und Disney. Der Islamist, der generell der Geschichte der Aufklärung etwas hinterherhinkt, hat es bislang noch nicht gebacken bekommen, sich die Bildrechte an Mohammed rechtsstaatlich zu sichern. Wir drücken ihm aber die Daumen, sich bald unserer aufgeklärten Wertegesellschaft anzuschließen und in Zukunft vom Steinigen abzusehen: Ein junger Blogger und selbsternannter Künstler, der anstößige Umtriebe mit dem Motiv des Iron Man am Kreuz angestellt hat, wurde aufgrund der Verletzung der Gefühle und Überzeugungen von Marvel, Disney und dem Papst zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Gefängnisse sind übrigens mittlerweile privatisiert. Disney und der Papst haben auch eines. Es geht also auch ohne Extremismus.

Das muss man aber alles differenzierter sehen.
Das sind radikal verschiedene Phänomene.
Man darf das nicht über einen Kamm schweren.
Und schon gar nicht einfach so vergleichen.
Ich will nicht polemisch werden.

 

Im jahr 2012 muss Marco Friedersdorf 1600€ an die Bildagentur HGM Press zahlen,
weil er in seinem Blog ein Bild eines chinesischen Künstlers in einem Iron man-Kostüm veröffentlichte. “Wir setzen uns juristisch einfach zur Wehr”, sagt Hans-Gerd Michel von HGM Press. “Es kann nicht sein, dass in dieser Republik berechtigterweise geklaut werden darf” Unter den vielen tausend anderen Online-Artikeln, die ebenfalls dafür abgemahnt wurden, die Bildrechte an Iron Man-Motiven verletzt zu haben, befinden sich auch zahlreiche Filmkritiken privater Webseiten. Der Bundespräsident sagt, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum werden.

Diktatur, Fundamentalismus, Rechtsstaat und Abendland sind sehr brauchbare Konzepte, mit denen sich allerhand anfangen lässt. Die Bedeutung eines Konzepts aber liegt allein in den denkbaren Handlungskonsequenzen, die sich daraus für mich ergeben, hat mal einer gesagt. Es gibt eine Freiheit, mich medial zu artikulieren, oder es gibt sie nicht, und es gibt Konsequenzen für meinen Körper, meinen Besitz und meine Lebensumstände, die ich zu tragen habe, wenn jemand diese Artikulationen unterbinden kann. Oder es gibt sie nicht.

Vielleicht kann man das alles differenzierter sehen.
Vielleicht sind das radikal verschiedene Phänomene.
Vielleicht darf man das nicht Alles über einen Kamm scheren.
Aber ich möchte von vorschnellen Urteilen absehen.

Ich weiß, das kann man alles gar nicht so vergleichen.
Und ihr wisst, ich will nur polemisch sein.
Aber es gibt eine Freiheit, mich medial zu artikulieren, oder es gibt sie nicht.

Und den Papst hab ich nur in den Titel genommen, weil man damit immer mehr Leser bekommt.

 

Appendix:
Iron Man wurde 1963 von Stan Lee und Jack Kirby erfunden.
Alle Rechte lagen damals beim Verlag Marvel Comics, der heute zur Walt Disney Company gehört.
Stan Lee darf aber ab und an in den Verfilmungen auftreten.

This entry was posted in Textliches and tagged , , . Bookmark the permalink.

2 Responses to Der Bundespräsident, Iron Man und der Papst

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *